Man wollte es nicht glauben, als die Landesdirektion Sachsen in ihrer Pressemitteilung vom 30. Juli 2021 unter dem Titel „Landesdirektion genehmigt Abriss zweier Villen am Görlitzer Postplatz“ verkündete, dass die beiden klassizistischen Villen mit Vorgarten, um 1860 errichtet, abgebrochen werden dürfen. Die Landesdirektion schreibt selbst, dass es sich um Kulturdenkmale handelt – „Vor Beginn der Abbrucharbeiten ist außerdem eine umfangreiche Bestandsdokumentation der Kulturdenkmale Postplatz 5 und 6 zu erstellen und der Landesdirektion Sachsen vorzulegen. Das Landesamt für Archäologie ist zudem berechtigt, vor Beginn der Abbrucharbeiten Grabungen durchzuführen, eventuelle Funde sachgerecht auszugraben und Befunde zu dokumentieren.“
Zum Antragsteller heißt es: „Sie gibt damit einem Antrag des Architekten Maik Straube statt, der in Vollmacht für die Stöcker Kaufhaus GmbH & Co. KG handelt. Die Genehmigung zum Abriss der betreffenden Gebäude resultiere aus der Unzumutbarkeit des Erhalts der beiden Gebäude für den Eigentümer.“ Die Landesdirektion musste entscheiden, weil es zwischen der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Görlitz und dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen zu keiner Einigung kam.
Das Landesamt für Denkmalpflege Dresden hatte sich vorab vehement gegen den Abriss der beiden Villen ausgesprochen. Denn eine Anlage wie die Häuser am Postplatz gibt es deutschlandweit wohl nur dreimal. Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich der Görlitzer Stadtteil grundlegend, heißt es vom Landesamt. Für die stadtparknahen Grundstücke wurde im Baustatut von 1848 die Vorbildwirkung des „Geheimratsviertels im Tiergarten Berlin“ erwähnt. „Es ist davon auszugehen, dass die Gebäude am Postplatz inklusive ihrer Gartenanlagen den gestalterischen Prinzipien solcher romantischer Viertel folgten, von denen es wohl nur noch drei in Deutschland gibt“, so Sabine Webersinke, Sprecherin des Landesamtes für Denkmalschutz. Neben Görlitz ist das demnach der Tiergarten in Berlin und das Grüne Viertel in Wiesbaden.
Beide Gebäude besitzen einen hohen historischen Wert, da sie Bestandteil der Ursprungsbebauung des Postplatzes sind. Beide sind weitgehend in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten und gehören damit nicht nur zu den ersten Häusern am Postplatz, sondern generell der gesamten städtischen südlichen Stadterweiterung. Das Landesamt für Denkmalpflege hat sich beide Häuser angesehen und eingeschätzt, dass eine denkmalgerechte Sanierung möglich ist.
Die Stadt Görlitz begrüßte den Abriss von vornherein und ließ die eigene Denkmalschutzbehörde insoweit außen vor und stellte sich hinter den Eigentümer des Görlitzer Kaufhauses, das durch Hollywood-Filme derzeit internationalen Rang erlebt. Der Eigentümer und Bauherr will das Kaufhaus sanieren und das zum benachbarten Einkaufscenter Frauentor gehörende Parkhaus erweitern, die beiden Villen stehen ihm im Weg. Es seien dringend zusätzliche Stellplätze vonnöten, vor allem, um die Altstadt zu entlasten. Letzteres ist in Görlitz umstritten, da das derzeitige Parkhaus nur schlecht ausgelastet ist.
Doch gibt es keine anderen Möglichkeiten, die Stellplätze zu erweitern und dadurch die beiden prachtvollen Wohnhäuser zu erhalten? Der bekannte Journalist Dankwart Guratzsch veröffentlichte am 27. Oktober 2000 in der WELT einen Artikel zu „Görlitz verspielt sein architektonisches Erbe“ und schrieb unter anderem: „Eine ganze Häuserzeile aus dem 19. Jahrhundert mitsamt dem „Wilhelms-Theater“, dem „Theater hinter dem Karstadt“ und klassizistische Villen sollen abgerissen werden, um einem Einkaufscenter Platz zu machen.“ Die städtische Denkmalschutzbehörde verweigerte vor 21 Jahren den Abbruch der beiden Villen.
Das Stadtforum Görlitz hat sich in dieser Sache klar für den Erhalt der beiden Villen positioniert. Neben den Erkenntnissen des Landesamtes für Denkmalpflege ist auch zu berücksichtigen, dass sich dort nach dem Krieg der Sitz der sowjetischen Kommandantur befand. Auch dieser geschichtsträchtige Fakt macht die Häuser erhaltungswürdig. „Im Übrigen gibt es auch“, so der stellvertretende Vorstand des Stadtforums Görlitz, Thomas Göttsberger, „eine Alternativplanung unter Einbeziehung der beiden Villen“.
Das Stadtforum hatte dem Investor schon frühzeitig angeboten, gemeinsam mit ihm einen planungsrechtlichen Kompromiss unter Erhalt der beiden Villen zu finden. Das Parkhaus kann auch rückwärtig erweitert werden, die Eingriffe in die dortige Gründerzeitbebauung wären weniger gravierend als die vom Investor aktuell favorisierte Lösung.
Das Stadtforum Görlitz vertritt auch die Ansicht, dass die Abrissgenehmigung der Landesdirektion Sachsen rechtswidrig ist. Ein Abriss kann nämlich nur dann bewilligt werden, wenn der Erhalt der Denkmale für den Eigentümer unzumutbar ist. Hier verhält es sich so, dass die Unzumutbarkeit durch die Landesdirektion gerade nicht umfänglich geprüft wurde. Anfang Oktober stellte sich heraus, dass in vielen Punkten keine vertiefte Prüfung durch die Behörde stattgefunden hat. Stattdessen verwies die Behörde auf „untrennbar verbundene Entscheidungen zur Stadtplanung“. Hinzu kommt, dass sich ein Käufer, der bewusst ein Denkmal erwirbt, im Regelfall nicht im Nachhinein auf die Unzumutbarkeitsregelung berufen kann.
Aktuell setzen sich sowohl die Deutsche Stiftung Denkmalschutz als auch der Internationale Rat der Denkmalpflege, kurz ICOMOS, dessen Worte in Görlitz Gewicht haben, für den Erhalt der beiden Villen ein.
ICOMOS schreibt wörtlich: „Wir halten den geplanten Abriss aus konservatorischer Sicht für kontraproduktiv und im Verfahren um die Bewerbung zur Aufnahme der Stadt Görlitz in die deutsche Tentativliste des Welterbes für abträglich und verweisen auf den in Ihrer Antrittsrede als Oberbürgermeister vom August 2019 formulierten Anspruch, das historische Erbe der Stadt zu wahren, Zukunftschancen zu nutzen und die Anstrengungen für den Welterbe-Titel zu verstärken“. Es zeichnet sich also ein kleiner Lichtstreif am Horizont für den Erhalt der beiden historischen Villen ab.